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Das Christkind & die Sache mit der Wahrheit

Gehörst du zu den Menschen, für die nun die schönste Zeit des Jahres begonnen hat? Liebst du die Magie der Weihnachtszeit auch so sehr wie ich? Ich erinnere mich dieser Tage Jahr um Jahr an den Zauber dieser besonderen Zeit. Den Zauber, den ich schon als Kind so geliebt habe und den meine Familie für mich und meinen Bruder so schön konstruiert hat.

Bei uns wurde Weihnachten sehr zelebriert: Wir haben Plätzchen gebacken und das Haus dekoriert, wir hörten Geschichten über den Nikolaus, das Christkind und wie unsere Eltern und Großeltern die Weihnachtszeit als Kinder erlebt haben. Und ich habe diese Geschichten geliebt. Am schönsten fand ich immer den Moment am heiligen Abend, wenn das Essen vorüber war und die Oma das Glöckchen läutete: Das Christkind ist da! Dann mussten wir uns verstecken, weil das Christkind nur von der Oma gesehen werden darf. Bei zweiten Glöckchenläuten war die Luft dann wieder rein, die Kerzen am Weihnachtsbaum entzündet, Plätzchen, Nüsse und Geschenke angerichtet. Jedes Jahr aufs Neue verlor ich mich in der Phantasie darüber, irgendwann einmal dem Christkind zu begegnen. Wie das wohl sein würde?

Doch je älter ich wurde, desto spanischer kam mir das Ganze vor. Aber ich behielt meine Fragen für mich. Ich wollte glauben, dass all die Geschichten über das Christkind, den Nikolaus und diese besondere Zeit im Jahr wahr sind. Dass sie Realität sind und ich wollte keine neue Realität. Die Lügen waren einfach zu schön!

 

Und so geben wir uns auch als Erwachsene diesen Realitätsverschönerungen der Weihnachtszeit hin. Vielleicht weil wir uns selbst etwas Zauber bewahren wollen, wohl aber vor allem, weil wir den Kindern diese Magie der Zeit nicht vorenthalten möchten. Sind kleinere und größere Lügen also immer dann erlaubt, wenn die Lüge schöner als die Wahrheit ist? Und sind Lügen nur dann verwerflich, wenn wir sie dazu nutzen, einen eigenen Vorteil zu erlangen, aber erlaubt, wenn wir jemand anderen vor einer Verletzung schützen? Oder ist die Wahrheit immer das höchste Gut? 

Vielleicht kennst du diesen inneren Konflikt aus einer besonderen Situation deines Lebens? Wie hast du dich entschieden? Bereust du deine Entscheidung heute?

 

Die Wahrheit oder Satya wie sie im Yoga genannt wird, wird als Aufrichtigkeit und Integrität verstanden, sie verweist auf eine klare Sprache. Wahrheit bedeutet sich selbst und anderen gegenüber ehrlich zu sein und keine Informationen zurückzuhalten. Auch dann nicht, wenn die Wahrheit jemand anderen sehr verletzen würde. Soweit so gut. Jetzt aber zurück zu unserem Alltag - ein kleines Beispiel: Du bekommst ein Geschenk zu Weihnachten, dass dir nicht gefällt. Nun hast du die Wahl, wie du mit dieser Situation umgehst: Du kannst direkt zurückmelden, dass dir das Geschenk nicht gefällt, auch wenn du weißt, dass diese Rückmeldung dein Gegenüber verletzen könnte. Du könntest einfach darüber schweigen und nichts kommentieren. Oder du entscheidest dich für eine Notlüge. Du könntest aber all das auch nur dann tun, wenn du gefragt wirst. Vermutlich wirst du abwägen und eine Entscheidung treffen: Wie gut ist die Beziehung zwischen demjenigen, der dich beschenkt hat und dir? Gab es so eine Situation schon einmal? Ist die Person eher sensibel oder kann sie mit klaren Worten gut umgehen? Nicht lügen zu wollen, aber jemand anderen auch nicht zu verletzen, kann dich innerlich (moralisch) zerreißen.

 

Katie Spiess gibt in ihrem Buch "Yoga in the City" einige wichtige Fragen zum Thema Wahrheit auf, die ich hier mit dir teilen möchte. Vielleicht ist eine Frage dabei, die dir einen Impuls gibt, deine Wahrhaftigkeit für dich selbst zu definieren. 

 

Frage Nr. 1

Wenn ich etwas über eine Person nur dann sagen kann, wenn sie nicht dabei ist und es ihr nichts ins Gesicht sagen kann, ist die Information dann überhaupt wichtig und wenn ja, für wen? 

 

Frage Nr. 2

Ist deine Meinung eine Wahrheit oder eine Meinung? Beruht sie auf Fakten oder deinen Gefühlen? Wie kannst du sie so zum Ausdruck bringen, dass du wahrhaftig sein kannst ohne den anderen zu verletzen (Stichwort: Gewaltfreie Kommunikation)?

 

Frage Nr. 3

Was, wenn die Wahrheit mehr Schmerz anrichtet als das Vermeiden der Wahrheit? Oder auch: Wen schützt die Lüge und wen schützt die Wahrheit?

 

Frage Nr. 4

Wo und wann verschwimmt die Grenze von Notlüge zu einer Lüge? Haben Wahrheit und Lügen Grenzen?

 

Frage Nr. 5

Wie viel Wahrheit kannst du ertragen und wie viel Wahrheit deinem Gegenüber zumuten? Und wer bist du, dies zu beurteilen? 

 

Letztlich bleibt Wahrhaftigkeit wohl ein eigenverantwortlicher Prozess. Möglicherweise fallen die Antworten auf die Fragen oben in den unterschiedlichen Situationen auch unterschiedlich aus. Aber vielleicht helfen sie dir auch, deine Wahrhaftigkeit für dich selbst klarer zu definieren und zum Beispiel öfter mal keine Meinung über jemanden kundzutun, wenn derjenige nicht im Raum ist. Vielleicht bist du aber auch innerlich klar und erlaubst dir Lügen immer dann, wenn du andere schützt.

 

Ich wünsche dir ein wunderschönes Weihnachtsfest mit so vielen kleinen Notlügen, die es braucht, um die Magie der Zeit zu spüren und für andere erlebbar zu machen! Und nicht vergessen: Morgen kommt schon der Nikolaus! :-) 

 

Herzlichst, 

Svenja Lotze